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Interview von Dominique Caillat
geführt durch François Rochaix (Regisseur)

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F.R.: Was hat sich seit ihrer ersten Reise 1997 und jetzt ihrer Meinung nach im Nahost geändert?

D.C.: Objektiv: nichts. Die Besatzung und Kolonisierung der palästinensischen Gebiete dauert an, Israel ist immer noch bedroht, es herrscht weder Justiz, noch Sicherheit, noch Frieden. Subjektiv: alles! Die Zukunftsperspektiven sind düster. Der israelische Pazifismus liegt im Sterben, der palästinensische Widerstand ist erschöpft. Bis 2006 existierte eine gewisse Dynamik, die nach friedlicher Koexistenz und Anerkennung des Anderen drang. Aber zu viele Träume wurden zerstört, es hat zu viel Gewalt gegeben. Jetzt herrschen wieder beiderseits atavistische Traumata – die Menschen werden radikaler oder gleichgültig und sie lassen die Extremisten und das Militär handeln. Am 40. Jahrestag des Besatzungsbeginns fanden sich knapp 3000 deprimierte Oppositionelle auf dem Rabinplatz. In den 90ern sammelten sich des öfteren über 100'000 Demonstranten an diesem Ort.
Das Problem liegt auch, oder sogar vor allem, in den oberen Etagen. Ich denke, dass es wohl zum ersten Mal auf beiden Seiten keine Politiker mehr gibt, die den Frieden durchsetzen könnten. Premier Ehud Olmert, der gewählt wurde, um israelische Soldaten und Siedler aus dem Westjordanland zurückzuziehen, hat statt dessen einen Krieg gegen den Libanon geführt und hat ihn verloren. Das ist ein Trauma für das israelische Volk, das erkennen musste, dass seine gewaltige Armee zerstören aber nicht schützen kann. Olmerts Beliebtheit schwenkt zwischen 2 und 6 %. Er ist handlungsunfähig. Auf der anderen Seite versenken sich die Palästinenser in einem Brüderkrieg zwischen dem laizistischen Fatah und dem islamistischen Hamas selbst. Das ist ein großer Sieg für die israelische Rechte, die alles getan hat, um den Feind zu spalten und bekanntlich die Entwicklung der Hamas Bewegung anfangs kräftig unterstützt hat. Jetzt wird die Hamas dagegen vor aller Welt verteufelt, um die Besatzungspolitik und Kolonisierung Palästinas zu rechtfertigen.
Dazu kommt der negative Einfluß der zwei Mächte, die dort Gewicht haben – die USA und der Iran. Beide nutzen den Nahost als Trainingslager für einen nicht deklarierten Krieg. Schon wieder werden die Menschen vor Ort einfache Bauer auf dem geopolitischen Schachspiel der Welt. Doch die Zivilisten beiderseits haben meines Achtens die Nase gestrichen voll. Sie wollen endlich in Ruhe leben. Aber wie sollten sie das bewirken? Alle sind desillusioniert.

F.R.: Die Journalistin – sind Sie das? Wenigstens zum Teil? Ich spüre in Christine eine Utopie, einen Traum, die traurige Hoffnung einer Lösung. Ist das richtig?

D.C.: Wahrscheinlich. Ich stamme aus einer Familie, in der vom Morgen bis zum Abend über die Weltpolitik debattiert wurde. So waren die Helden meiner Kindheit die großen Figuren aus der Zeit: Martin Luther King, John Kennedy, die Helden des französischen Widerstandes, Solschenizyn, zum Beispiel, aber auch das jüdische Volk und in weiterem Sinne die Israelis: sie waren in meinen jugendlichen Augen lauter Asterix, die sich gegen alle Römer der Welt widersetzten.
Ich war Israel wie jeder schon als Kind in der Kirche begegnet, wo ich die biblischen Mythen mit Begeisterung gehört hatte. Meine Jugendlektüren vertieften mein Interesse: Schock und Schrecken vor der Shoah, Bewunderung des Zionismus – Sieg über den Antisemitismus, gelungenes sozialistisches Experiment, Anschaffung eines „Gartens in der Wüste“ wie es damals weltweit hieß. Ich habe das palästinensische Leid erst spät entdeckt, als ich mein Stück „Leb wohl, Schmetterling“ über das KZ Theresienstadt in Tel Aviv und Jerusalem präsentiert habe. Zum ersten Mal sah ich, das die Realität meinen Kindheitsträumen gar nicht entsprach. Aber ich fand sofort Freunde unter den israelischen Pazifisten. Sie waren es, die mich über alle Aspekte des Besatzungsdramas informiert haben. Sie haben mich zum Schreiben ermuntert, um die heutige kolonialistische, militärische und fundamentalistische Abtrifft zu denunzieren. Inzwischen bin ich fast so besorgt wie sie selbst über die Situation und die Zukunft. Mit der Zeit habe ich auch Freundschaften auf der palästinensischen Seite geschlossen. Dieses Land, dieser Krieg, dessen Protagonisten sind mir bekannt und nah. Das Drama trifft meine Freunde und ihre Kinder. Ich habe, wie viele wohl, an den Frieden geglaubt, und zwar direkt vor Yitzhak Rabins Ermordung 1995. Ich habe wieder Hoffnung gehabt, als Ehud Barak und Yasser Arafat 2000 fast zu einer Vereinbarung gekommen wären. Heute aber fällt es mir schwer an einen Frieden ohne Gewalt zu glauben, denn wie soll man 260'000 fanatische, bewaffnete israelische Siedler aus dem Westjordanland gewaltlos schaffen? Es muss nicht unbedingt zum Bürgerkrieg kommen, aber das Risiko besteht. Welche israelische Regierung wird es wagen, jüdisches Blut zu vergießen?
Die Identifikation mit Christine war ursprünglich nicht beabsichtigt. Ich wollte ein politisches Stück machen, wollte die Menschlichkeit hinter den Schlagzeilen suchen, wollte die Bühne als Standort für eine Reflexion über einen bedeutenden Konflikt, der eine Vielzahl an existentiellen Fragen unserer Zeit stellt, nutzen. Der Westen hat eine große Verantwortung in dieser Gegend. Wir Europäer können nicht einfach wegschauen.
Im Laufe meiner Recherchen aber, wurde ich in die Sache sozusagen eingesaugt. Die Emotionen, die Tragik und die Gegensätze mit denen ich stets konfrontiert wurde haben mich desorientiert. Ich schrieb schließlich mit „État de piège“ tatsächlich einen sehr persönlichen Text, denn ich fand es interessanter meine Zweifel mit den Zuschauern zu teilen als ein propagandistisches Antibesatzungsstück zu liefern. Das bedeutet nicht, dass ich neutral geworden bin. Im Gegenteil: Das Stück verkörpert durchaus die Ideen der israelischen Linke und des palästinensischen Zivilwiderstandes.

 

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